Die unendliche Geschichte

Es ist mal wieder November. Die Tage werden merklich kürzer, das Wetter fühlbar kälter. Ab und zu verlocken mich ein paar Sonnenstrahlen nach draußen, doch bei dem grauen und regnerischen Wetter da draußen mache ich es mir lieber auf der Couch gemütlich. Dabei dürfen eine große Tasse dampfenden Tees und ein vielversprechend dickes Buch nicht fehlen. Ich ziehe meine Füße, die ich in Kuschelsocken eingepackt habe, näher an den Körper, stopfe mir ein drittes Kissen in den Rücken und versinke in einer Geschichte. Wie zum Beispiel dieser:

Abbildung einer Tasse und des Buches Die unendliche Geschichte

Seit ich ungefähr zehn Jahre alt war ist Die Unendliche Geschichte von Michael Ende fester Bestandteil meiner Bibliothek. Während die meisten Bücher, die ich damals erwarb, mittlerweile ein anderes Zuhause gefunden haben, hat mich dieses Buch stets begleitet (wie anhand des Zustands des Umschlags vielleicht zu erkennen ist). Dabei habe ich es nicht nur von einer Wohnung in die nächste mitgenommen sondern auch mehrfach gelesen und sogar vorgelesen. Bis heute begeistert mich die Erzählung rund um Bastian Balthasar Bux und Phantásien. Ich werde nie müde, über dieses Buch nachzudenken, so inspirierend und anregend ist es.

Aufgrund der wundervollen Illustrationen, die die Anfangsbuchstaben der Kapitel meisterlich in Szene setzen, erkennt der Leser schnell, dass er das Alphabet und somit sechsundzwanzig Kapitel vor sich hat. Zwar ist mir das bereits beim ersten Lesen aufgefallen, allerdings habe ich erst später verstanden, wie gekonnt Michael Ende die „schwierigen“ Buchstaben wie Q, X und Y umgesetzt hat. Als Kind achtet man halt mehr auf die Geschichte als auf die sprachliche Geschicklichkeit des Autors. Oder die Kunstfertigkeit der Illustrationen. Ich fürchte, dass ich sie als Jungspund einfach übersehen habe. Auch viele andere Details haben sich mir erst später, beim wiederholten Lesen, offenbart. Da das Buch so reich an Ideen, Gedanken, Wortspielen, Bildern, Reimen, Figuren, Fantastereien und Wahrheiten ist, bin ich überzeugt, dass ich auch beim nächsten Lesen noch etwas entdecken werde, das ich bisher übersehen habe.

Apropos: Ich muss gestehen, dass ich das Buch meist gar nicht vollständig lese. Oft stoppe ich nach Kapitel O – Graógramán, der Bunte Tod und lese bei X – Dame Aiuóla weiter. Da ich den Inhalt dazwischen gut kenne, kann ich diesen Abschnitt der Geschichte problemlos überspringen, ohne den Zusammenhang zu verlieren. Der Grund für das Auslassen ist, dass ich diese Kapitel zwar lesenswert und die darin vermittelten Werte wichtig finde, jedoch Bastian in diesem Teil nicht sonderlich mag. Es sollte mich wundern, falls irgendjemand die Hauptfigur in diesen Kapiteln leiden kann, denn ich bin überzeugt, dass der Autor ihn absichtlich negativ porträtiert. Der Leser soll sich über die Wandlung Bastians erschrecken, denn nur so kann das Ende seine volle Wirkung erzielen.

(Findet es eigentlich noch jemand witzig, dass der Autor der Unendlichen Geschichte mit Nachnamen Ende hieß? Nur ich? Na gut.)

Mein Lieblingsabschnitt ist das Kapitel G – Die Stimme der Stille, welches vom Südlichen Orakel erzählt. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass darin so viele Reime vorkommen und mir Gedichte schon immer gefallen haben. Übrigens finde ich, dass Michael Ende ein begnadeter Dichter war. Vor allem, weil er sich nicht auf den offensichtlichen Reim beschränkte sondern sehr elegante Lösungen für ungewohnte Wörter fand. Seine Zeilen wirken frisch, unerwartet und bringen mich manchmal sogar zum Schmunzeln. Meinem Gehirn ist es ein Leichtes, sich die Worte einzuprägen und so kann ich ganze Passagen des Kapitels auswendig aufsagen. Dennoch nehme ich das Buch immer wieder gern zur Hand, schlage an der vielbesuchten Stelle auf (der Buchrücken hat dort einen tief eingeprägten Knick) und schwelge in den wunderbaren Worten Michael Endes.

Übrigens ist das auch genau das, was ich jetzt machen werde. Zuerst werde ich den Wasserkocher füllen. Während das Wasser kocht, werde ich in meiner Sockenschublade nach warmem Socken suchen. Dann werde ich… Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.