Das kleine Café

Ich neige zu Tagträumen. Während ich darauf warte, dass der Wasserkocher seine Aufgabe erledigt. Beim Zähneputzen. Wenn ich in der Hängematte auf der Wiese liege und der Samstagnachmittag an mir vorübertröpfelt. Oder eben auch, wenn ich beim Arbeiten ins Stocken komme und über ein Wort oder eine Formulierung nachdenke. „Hübsch, wie sich das Licht in den Regentropfen bricht, die der Schauer heute Morgen an der Fensterscheibe hinterlassen hat!“, meint mein umher schweifendes Auge. „Oh ja!“, antwortet das Gedächtnis, „Das ist fast so wie nach diesem stürmischen Unwetter in Irland damals. Weißt du noch?“. „Und ob!“, ruft das Ohr, „Die ganze Nacht hat es gebraust und geschüttet.“. Drei Minuten später befinde ich mich gedanklich irgendwo auf der grünen Insel bei einem Spaziergang an einem See, die Luft riecht nach feuchten Steinen und die Sonne taucht immer nur kurz hinter schnell dahin eilenden Wolken hervor. Die Tinte an der Spitze meines Füllers, den ich geöffnet in der Hand halte, trocknet langsam ein und das Notizbuch hat von allein auf eine andere Seite geblättert. Es ist neu und die Bindung steht noch unter Spannung. Doch meine Aufmerksamkeit ist woanders.

Abbildung einer Kaffeegarnitur - Kanne, Tasse und Untertasse, Zuckerschale, Kuchen auf einem Teller

Ein Tagtraum, der mich häufiger besucht, besteht aus einem bezaubernden kleinen Café. Es passen gerade mal sieben Tische hinein und das Mobiliar ist zusammengewürfelt, aber bequem. In einer Ecke versteckt sich ein knuffiges Samtsofa, auf dem ich es mir gemütlich gemacht habe. Auf dem Tisch steht eine wohlgeformte Tasse aus Porzellan auf einer passenden Untertasse. Wobei, die Untertasse passt nur dem Material und der Größe nach, das Dekor ist ein anderes. Genau wie das der Teekanne, aus der Wasserdampf kräuselt. Auf dem wieder anders verzierten Kuchenteller liegt eine Gabel neben einem prächtigen Stück Torte, an der bereits die ersten Happen fehlen. Hier kann ich in aller Ruhe sitzen, an meinem Getränk nippen, an meiner Leckerei knabbern und die nächste Seite schreiben. Es herrscht keine Stille, doch das Tischgespräch meiner Nachbarn ist zum Glück unverständlich und vermischt sich mit dem sanften Tröpfeln des Regens auf der Straße draußen. Ab und zu klingelt zart das Glöckchen über der Eingangstür, wenn ein neuer Gast hereintritt. Die Atmosphäre ist entspannt und gelassen. Ein wunderbarer Ort!

Für dieses Traumcafé gibt es ein reales Vorbild. Vor Jahren besuchte ich in Irland einen kleinen Tea Room, in den ein paar wenige Tische hineingestopft waren. Genau wie beschrieben waren die Teekannen und Tassen Einzelstücke, nichts passte zueinander. Die Spitzendeckchen waren mir ein wenig zu kitschig, gebe ich zu, aber an Gemütlichkeit war es kaum zu überbieten. Nur die Sitzmöbel waren nicht ganz so bequem, dass ich hätte stundenlang darauf sitzen können. Dafür war der Tea Room wohl aber auch nicht gedacht. Selbst wenn – bis nach Galway ist es doch recht weit. Ich fürchte, dass auch die Geräuschkulisse nicht der von mir beschriebenen entsprechen würde. Diese entstammt hauptsächlich einer Audiodatei, die ich gern abspiele, um einem Arbeitsplatz etwas Atmosphäre zu verpassen: Regen, Tassenklappern, diffuses Gesprächsgemurmel, eine Türglocke. Ich kann nicht sagen wieso, aber die Türglocke ist wichtig.

Warum dieser Traum? Nun, hätten wir nicht alle gern den idealen Arbeitsort? Meiner sollte einladend, gemütlich, warm, nicht zu laut und inspirierend sein. Und manchmal hapert es halt an der einen oder anderen Ecke. Das Sofa, auf dem ich gerade sitze – alles andere als bequem. Außerdem zieht es hier irgendwie. Zu essen gibt es auch nichts. Für heute wird es gehen, aber für morgen brauche ich etwas Anderes. Besseres. Bezaubernderes. Einen Platz in einem wunderbaren kleinen Café, zum Beispiel. Du weißt schon, mit Tassen, deren Dekor nicht zu den Tellern passt. In dem es leckere Backwaren und vorzügliche Heißgetränke gibt. Wo die Menschen leise plaudern und der Regen sanft fällt. Leider gibt es dieses Café nur in meinen Träumen. Ich wäre sonst Stammgast. Und könnte vielleicht auch weiterarbeiten statt sehnsuchtsvoll ins Nichts zu blicken.