Der launische April
Mit einem Sprint rettest du dich unter das Vordach. Die Hagelkörner, die hinter dir aufschlagen und kleine Kieselsteine aufspringen lassen, sind mindestens zwei Zentimeter groß. Die Stellen auf deinem Kopf, die von den fiesen Eiskugeln getroffen wurden, sind allerdings davon überzeugt, dass der Durchmesser noch viel größer sein muss. Missmutig reibst du dir über den schmerzenden Kopf, dann schüttelst du deine Jacke aus und betrittst das Bürogebäude. Feuchte Schuhabdrücke verfolgen dich bis in die Garderobe, in der du deine klamme Jacke aufhängst. Sofort fängst du an zu zittern. Gegen die Kälte hilft jetzt nur ein heißes Getränk. Während du darauf wartest, dass der Wasserkocher seine Arbeit verrichtet, siehst du aus dem Fenster. Die noch immer herabstürzenden Hagelkörner lassen die Pfützen aufspritzen, die ein Schauer am frühen Morgen hinterlassen hat. Angewidert wendest du dich ab.
Eine Viertelstunde später sitzt du an deinem Schreibtisch und beantwortest die erste Mail des Tages. Hin und wieder nippst du an deinem viel zu heißen Früchtetee. Das Schreiben fällt dir schwer, denn in Gedanken bist du bei der Tafel Schokolade, die du vor zwei Tagen als Notration in deinem Aktenschrank deponiert hast. Eigentlich war die ja für einen viel schlimmeren Tag gedacht, aber kann es denn noch schlimmer kommen als dieser Blasen werfende Regen, der einsetzte, kaum dass der Hagel aufgehört hatte? So gut du kannst drehst du dem Wetter den Rücken zu. Um dich abzulenken wühlst du in deiner Tasche nach den Pfefferminzbonbons, fummelst umständlich eins aus der Packung und steckst es dir in den Mund. So gewappnet wendest du dich wieder der Anfrage von Herrn Meier zu.
Endlich ist der Berg an Mails abgearbeitet und so kannst du dich den wichtigen Dingen zuwenden. Tim hat dir den jüngsten Entwurf zukommen lassen und neugierig liest du das Dokument. „Gar nicht mal so schlecht.“ murmelst du vor dich hin und steckst dir noch ein Stück Schokolade in den Mund. Als du soeben eine komplizierte Skizze betrachtest, wird dein Bildschirm von gleißendem Sonnenlicht überflutet. Der große dicke Ball aus Feuer hat sich natürlich mal wieder genau deinen Platz ausgesucht. Die Augen zusammenkneifend rollst du mit dem Bürostuhl zum Fenster und lässt die Jalousie herunter. Auf den Schock hin verputzt du die restlichen drei Schokoladenstücke und wischst dir die Hand an der Hose ab, ehe du sie zurück auf die Maus legst.
Antje aus der Buchhaltung steckt ihren Kopf zur Tür heran und stellt dir eine Frage, deren Anfang du verpasst. Verwirrt blickst du sie an. „Wie bitte?“ – „Ob du den ganzen Tag im Dunkeln hocken willst, habe ich gefragt. Hier ist es ja stockduster.“ Und mit einem Lachen betätigt sie den Lichtschalter. „Nicht dass du dir die Augen verdirbst!“ Irritiert siehst du ihr nach. Dem Licht nach könnte es schon abends sein, doch tatsächlich ist kaum Mittagszeit. Du stehst auf, um die Jalousie nach oben zu ziehen und aus dem Fenster zu sehen. Eine ominöse stahlgraue Wolke bedeckt den halben Himmel. Am Rand der Wolke, den der kräftige Wind mit Freude zu zerfetzen scheint, schaut hier und da noch etwas Blau hervor. Typisch April! denkst du dir und schlenderst zurück zu deinem Arbeitsplatz.
So richtig Hunger hast du zwar nicht, aber dennoch hast du dich von Marco überreden lassen, in der Mittagspause den Imbiss um die Ecke aufzusuchen. Die Sonne kitzelt ab und zu in euren Nasen, während ihr die drei Straßenlängen lauft und über das gestern aufgetretene Problem in der Fertigung diskutiert. Beim Imbiss angekommen wählst du nur eine kleine Portion Pommes, was dir einen schiefen Blick deines Kollegen einbringt. „Was ist denn mit dir los? Plötzlich auf Diät?“ Zur Antwort zuckst du nur mit den Schultern. Insgeheim aber nimmst du dir vor, beim nächsten Mal nicht wieder die ganze Tafel Schokolade auf einmal zu essen. Die zehn Minuten Wartezeit vertreibt ihr euch mit Spekulationen über das Gerücht, dass ein Neuer im Controlling eingestellt worden sein soll. Du stippst die erste Pommes in den Waffelbecher mit Mayo, als ein plötzlich aufbrausender Wind deine Serviette davonträgt. Viel zu schnell ist sie davon geflattert und du siehst ein, dass es sinnlos wäre ihr nachzurennen. Daher drehst du dich zur Imbissbude um, um dir eine neue zu holen. In diesem Moment spürst du auch schon die ersten dicken Tropfen in deinem Gesicht, auf den Haaren, und auf den nackten Armen, denn deine Jacke hast du ob der angenehmen Temperaturen im Büro zurück gelassen. Ehe du dich versiehst, ist die Pommesschale mit Wasser vollgelaufen und du pitschnass. Der April zeigt sich mal wieder von seiner besten Seite. „Kein Wunder, dass man ihn launisch nennt!“ denkst du dir. „Mich macht er auch sehr launisch. Übellaunig!“