Ein Buch wie alle anderen

Bild eines Bücherregals gefüllt mit Büchern

Viele Bücher beginnen mit einer Widmung, einer Danksagung oder auch mal einem Zitat aus einem anderen Werk. Ich finde diese Präambel immer sehr spannend und lese sie stets mit Interesse. Viel zu oft kenne ich die Menschen nicht, denen sich der Autor zu Dank verpflichtet fühlt oder deren Buch achtungsvoll zitiert wird. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich mir diese Widmungen nur selten merken kann. Eine „erste Zeile“ ist mir jedoch besonders im Gedächtnis geblieben, vermutlich weil sie sich auf Niemanden im Speziellen bezog:

Dieses Buch wurde inspiriert von jedem anderen Buch, das ich je gelesen habe.*

Ich kann dieser Aussage nur vollen Herzens zustimmen. Für mich bestimmen die vielen Bücher, die ich gelesen habe, die Art und Weise wie ich selber schreibe. Wie ich meine Erzählungen konstruiere. Welche Bestandteile ich unabdingbar für eine gute Geschichte halte. Ob ich meinen Kapiteln Überschriften gebe oder Nummern. Wie ich Charaktere entwickle. Spannung aufbaue. Im Grunde sogar, worüber ich erzähle.

Dabei verstehe ich mich nicht als Kopist oder Nachahmer. Vielmehr sehe ich mich als einen Schwamm, der alle Bücher beim Lesen in sich aufsagt, die guten wie die schlechten. Das Gedächtnis presst diesen Schwamm aus, so dass nur ein paar Tropfen übrig bleiben und sammelt diese. Eine Idee hier, eine Wortgruppe da, eine Begeisterung für ein bestimmtes Genre dort. Das Kondensat all dieser konsumierten Bücher dient mir als Nahrung, wenn ich vor dem leeren Blatt Papier sitze und meine eigenen Geschichten aufschreibe.

Vielleicht wird ein Leser einer meiner Geschichten sagen, dass es ihn an jenen Autor oder jene Erzählung erinnert, und das ist für mich völlig in Ordnung. Gut möglich, dass er damit recht hat. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Mail, die ich Freunden schrieb, die heftig von Jane Austens Sense and Sensibility beeinflusst war. Ich las das Buch damals zum ersten Mal (und auch noch auf Englisch) und meine Gedanken waren intensiv darin verwickelt. Die Sprache, die ich in der Mail verwendete, war voller Schnörkel und exakt konstruierter Satzteile, vielleicht sogar blumig und altmodisch. Deswegen hat Jane Austen diese Mail natürlich trotzdem nicht geschrieben. Und so bleibt auch eine Geschichte mit Ähnlichkeiten zu anderen immer noch meine Geschichte.

Und so rate ich jedem, der Autor werden will, möglichst viele Bücher zu lesen. Von den unterschiedlichsten Autoren, aus allen Genres, dick und dünn, spannend und langweilig. Umso mehr du liest, umso mehr wirst du wissen, was und wie du erzählen möchtest. Am Ende schreibst du ein Buch, das ist wie alle anderen. Und das ist etwas Wunderbares.

* – Ich meine, dass diese Worte von einem englischsprachigen Autor stammen, möglicherweise Nail Gaiman. Ich kann sie ihm aber nicht konkret zuordnen. Eine Suche in meiner kleinen Bibliothek zu Hause brachte kein Ergebnis. Falls ich die Quelle je wiederfinde, werde ich sie anfügen.

Nachtrag August 2022: Kein Wunder, dass ich lange gebraucht habe, den Autor zu finden, denn die Worte stehen im Nachwort, nicht im Vorwort. Sie stammen von Philip Pullman und sind sogar noch ein wenig frecher als ich sie in Erinnerung habe: I have stolen ideas from every book I have ever read. (Ich habe Ideen aus jedem Buch gestohlen, das ich je gelesen habe.)