Frühlingsboten und ihre Verwandten
Die Tage werden länger, die Sönne lädt öfter zum Spazierengehen ein und es liegt die Verheißung nach warmen Stunden und Blumenduft in der Luft. Auf der nördlichen Hemisphäre beginnt wieder einmal der Frühling. Die Vögel zwitschern aufgeregt in den Bäumen und Sträuchern, grüne Spitzen von Grashalmen und anderen Gewächsen schießen überall aus dem Boden hervor. Alles wächst und springt und freut sich… und ich bin müde. Bestimmt ist das die Frühjahrsmüdigkeit. Oder sind es die letzten Auswirkungen des Winterschlafs?
Außerhalb Deutschlands scheint das Phänomen der Frühjahrsmüdigkeit übrigens nicht zu existieren, denn andere Sprachen kennen einfach kein Wort für diesen Zustand. Wobei das auch daran liegen mag, dass zusammengesetzte Wörter vor allem ein Produkt der deutschen Sprache sind. Fröhlich kleben wir die vier Jahreszeiten an alle möglichen Begriffe: Für das Wochenende ist der Frühjahrsputz geplant, das haben wir so festgelegt, als wir gerade Frühlingsrollen verspeist haben. Wir feiern das Fest zum Mittsommer mit einer Fahrt auf der Sommerrodelbahn. Die leuchtenden Herbstfäden zeigen an, dass es bald wieder Zeit ist, mit Hingabe durch das Herbstlaub zu rascheln. Und als wir uns in der Scheibe des Wintergartens spiegeln, bemerken wir, dass wir ordentlich Winterspeck zugelegt haben.
Der immer wieder kehrende Lauf der Jahreszeiten scheint unsere Sprachen mannigfaltig zu inspirieren. Das ist wohl nicht weiter bemerkenswert, wenn wir bedenken, dass auf unserem Breitengrad die Jahreszeiten distinkt ausgebildet sind. In Mumbai hingegen ist es jeden Tag warm und der Sommer zeichnet sich nur dadurch aus, dass es viel regnet. Und so kennen die Bewohner dort keine Winterjacken, wohingegen unsere Wörterbücher überquellen mit Begriffen wie Frühlingserwachen, Sommersprossen, Herbstfest und Wintervorrat. Ja, wir haben sogar Bezeichnungen dafür, wenn die Jahreszeiten zu zeitig kommen (Frühsommer) oder zu spät aufhören (Spätherbst). Und weil wir so fleißig im Erfinden von Begriffen sind, hört unsere Begeisterung nicht bei den Jahreszeiten auf, wir machen mit den Monatsnamen weiter. Wobei ein Australier uns sicher verwirrt ansieht, wenn wir von Dezemberfrost sprechen, denn für ihn beginnt dann gerade der Sommer.
Aktuell interessiert mich von all den jahreszeitlich inspirierten Begriffen vor allem dieser hier: Der Frühlingsbote. Vor allem in der Form von Schneeglöckchen, Winterling oder Krokus. Mit leuchtenden Blütenblättern und frischgrünen Blättern zaubern sie bunte Tupfen auf die Wiesen. Und mir ein riesengroßes Lächeln ins Gesicht. Gern würde ich mich zu den brummelnden Bienen gesellen und eine Blüte nach der anderen besuchen. Bis ich das Fliegen erlernt habe, begnüge ich mich mit dem Spazierengehen und vergnüge mich mit Wortspielen. Der nächste Frühling kommt bestimmt!