Nur noch ein Kapitel
Ist es vermessen zu behaupten, dass jeder, der Autor geworden ist, auch selber gerne liest? Schließlich sollte man schon eine gewisse Begeisterung für das haben, was man erschafft. Und Bücher werden nun mal gelesen. Ich jedenfalls lese liebend gern. Das heißt nicht, dass ich jedes Jahr Hunderte von dicken Wälzern verschlinge, aber ein hübscher Stapel wird schon zusammenkommen.
Schon als Kind habe ich viel gelesen. Sobald ich alle Buchstaben gelernt hatte, arbeitete ich mich durch die Kinderabteilung der Bibliothek meiner Stadt. Anfangs hatte ich ein Faible für die Romane von Jules Verne. Mein Favorit war und ist Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, denn mir gefiel die Idee unglaublich gut. Für 20.000 Meilen unter dem Meer sind wir damals sogar extra in den Nachbarort gefahren, weil unsere Bibliothek das Buch nicht vorrätig hatte. Nach Jules Verne habe ich mich durch etliche Bücher von Enid Blyton und Klaus Kordon gelesen. Klassiker wie Ronja Räubertochter oder Krabat durften natürlich auch nicht fehlen. Als ich älter wurde, entdeckte ich die Krimis von Agatha Christie und schmökerte mich durch jeden Hercule Poirot-Titel, dessen ich habhaft werden konnte. Als Jugendliche wiederum hatte ich einen Hang zu den schaurigen Geschichten von Stephen King. Generell neige ich dazu, mich für einen bestimmten Autoren zu begeistern und dann so viele seiner Werke zu lesen, wie ich finden kann. Dazu gehören unter anderem Ken Follett, Andreas Eschbach und Jane Austen.

Ein Autor, für den ich besonders viel Bewunderung hege, ist Philip Pullman. Nein, lasst mich das umformulieren, denn den Menschen selbst kenne ich gar nicht. Ich bewundere viel mehr sein literarisches Werk und darin erschaffenen Welten. Besonders angetan bin ich von seiner Trilogie His Dark Materials, welche ich bestimmt schon vier- oder fünfmal gelesen habe. Die Geschichte verliert nie ihren Reiz und ich bin immer wieder berührt von der Tiefe und Emotionalität des Werkes. In der Mitte des dritten Buches zerreißt es mir fast jedes Mal das Herz, so gut ist es. Es ist außerdem keine schlechte Sache, einen Roman zu lesen, den man schon kennt, denn so muss ich mir nicht die halbe Nacht um die Ohren schlagen, nur um herauszufinden, wie er ausgeht. (Ja, doch, das habe ich schon öfter gemacht.) Vielmehr kann ich das Buch beim zweiten oder dritten Lesen genießen und in den Worten und Ideen schwelgen. Und wenn die Mittagspause vorbei ist, kann ich es beiseitelegen und an die Arbeit zurückgehen.
Stellt euch meine Verblüffung vor, als ich vor kurzem herausfand, dass Philip Pullman die Serie um weitere Romane erweitert hat! Zwei von drei Büchern der Trilogie The Book of Dust wurden bereits veröffentlicht. Das erste, Über den wilden Fluss, gibt es seit 2017. Also seit rund acht Jahren! Meine Güte, habe ich denn tatsächlich so sehr hinter dem Mond gelebt, dass das komplett an mir vorbei ging? Natürlich muss ich diese Unachtsamkeit sofort ausgleichen und diese Bücher lesen! Zum Glück hat meine Stammbibliothek beide in ihrem Bestand und ich habe sie für die nächsten vier Wochen ausgeliehen. Wundervoll!
Es gibt da nur ein winziges, klitzekleines Problem: Ein Autor, der gerade liest, schreibt nichts. Blöd, oder? Ich müsste eigentlich auch am nächsten Kapitel arbeiten, aber stattdessen steckt meine Nase zwischen den Seiten des Buches eines anderen Schriftstellers. Vielleicht kann ich es ja als Recherche durchgehen lassen? Immerhin sagt Philip Pullman selbst, dass das Lesen wichtig für das eigene Schaffen ist. In diesem Sinne werdet ihr mich sicher verstehen, wenn ich mich an dieser Stelle von euch verabschiede. Ich muss heute dringend heute dringend noch ein paar Kapitel schaffen. Schreiben kann ich auch morgen wieder.
