Präsentiert in kleinen Häppchen

Werte Damen und Herren! Kaufen Sie hier und jetzt die neue Ausgabe der Dresdener Geschichten und erfahren Sie als erster, ob im spannenden Finale unserer Reihe Das Ende des Krieges der mutige Professor Mehrsch den Start des Spionagesatelliten doch noch in letzter Sekunde verhindern kann. Lesen Sie im nächsten Teil von Immer dieser Ärger mit der Liebe, ob Sibylle ihren angebeteten Bastian bei einem romantischen Picknick am See endlich für sich gewinnen kann. Verpassen Sie auch nicht den Start der neuen Serie Verloren in der Andromedagalaxis, eine fantastische Weltraumoper, die exklusiv in unserer Zeitschrift ihre Erstpublikation feiert!

Vermutlich gibt es nicht mehr viele Magazine, die Geschichten in mehreren Teilen veröffentlichen. Vor gut hundertfünfzig Jahren jedoch war das Aufteilen in appetitliche Häppchen der Standard für die meisten Bücher. Werke wie Anna Karenina, Die Schatzinsel, Der Graf von Monte Christo und Krieg der Welten wurden über mehrere Monate, manchmal gar Jahre herausgebracht. Pionier des Fortsetzungsromans war Charles Dickens, dessen David Copperfield genauso in Serie erschien wie Oliver Twist und Große Erwartungen. Nicht nur hat er das Episodenformat bekannt und beliebt gemacht, er hat auch das Stilmittel des Cliffhangers verfeinert, an dem wir uns heute noch erfreuen. Obwohl, erfreuen wir uns wirklich daran? In einigen Fällen kann ein ungelöster Handlungsstrang auch zu viel Aufregung führen. So gibt es das unterhaltsame Gerücht, dass im Hafen von New York ein Tumult unter den Menschen entstand, die auf das Schiff mit dem finalen Teil von Charles Dickens‘ Der Raritätenladen warteten.

Abbildung mehrerer Bücher aus der Buchreihe The Green Mile

In jüngster Zeit werden Romane nur noch selten in Stücken veröffentlicht. Eine solche Ausnahme, die ich zu den jeweiligen Erscheinungsterminen erworben habe, ist The Green Mile von Stephen King. Angeregt von der Idee, dass der Autor dem Leser überlegen wäre, weil dieser nicht zum Ende vorblättern könne, entwarf Stephen King einen spannenden Roman in sechs Teilen. Ich fürchte, dass ich damals nicht so unbändig auf den nächsten Band gewartet habe, wie von seinem Schreiber erhofft, aber mir gefiel das Experiment.

Ich musste unlängst an diese Begebenheit denken, als ich das Vorwort zu dem Buch las, das ich mir zurzeit zu Gemüte führe: Vanity Fair (deutscher Titel lautet Jahrmarkt der Eitelkeit) von William Makepeace Thackeray. Auch dieses Werk ist wie die seines Zeitgenossen Charles Dickens in Fortsetzungen erschienen. Ich geriet ins Grübeln, dann ins Recherchieren und zuletzt ins Schreiben dieses Blogeintrags. Das Thema der Präsentation einer Geschichte in Form einer aufeinanderfolgenden Reihe faszinierte mich. Und das nicht nur als Leser eines Buches oder als Zuschauer einer der so beliebten Fernsehserien sondern auch als Autor meiner eigenen Erzählungen. Die Stilmittel, die den Fortsetzungsroman so aufregend machten, sind schließlich auch heute noch relevant: weitreichende Spannungsbögen, unerwartete Wendungen, nervenaufreibende Cliffhanger und berauschende finale Kapitel, auf die der Leser voller Ungeduld wartet. Warum sollte ich nicht von den Großen lernen und mir den einen oder anderen Kniff abschauen?

Ich glaube nicht, dass ich am Ende des Kapitels meinen Helden an einem Grasbüschel am Rand einer Klippe hängen lassen werde (der Begriff Cliffhanger beruht auf einer solchen Szene aus dem Roman A Pair of Blue Eyes von Thomas Hardy), aber sicher fallen mir andere Wege ein, den Leser an meine Geschichte zu fesseln. Inspiration habe ich dank meiner Recherche nun genug.