Wir sind umgezogen
Wir sind umgezogen. Mit ausgestreckten Armen tappse ich im Dunkeln durch das Schlafzimmer und suche nach der Tür. Vorsichtig bewege ich mich vorwärts, um mir nur ja nicht den Zeh an der Bettkante anzustoßen. Ah, hier ist ein Fensterriegel. Aber zu welchem Fenster gehört er? Das linke Fenster, gut. Dann kommt gleich eine Kommode. Hoffnungsvoll drehe ich mich zur Seite, denn der Kommode gegenüber ist die Tür. Ein Schritt nach vorn… noch einer… aua! Die Bettkante! Mit einem unterdrückten Fluchen reibe ich mir den kleinen Zeh und hoffe, dass ich niemanden aufgeweckt habe. Zum Glück verfliegt der Schmerz schnell und so taste ich mich langsam weiter vorwärts. Endlich finden meine suchenden Hände die Türklinke und ich schleiche hinaus. Während ich mich frage, wo das Badezimmer gleich wieder war, wird mir bewusst, dass es wohl noch eine ganze Weile dauern wird, bis ich die neue Wohnung im Schlaf beherrsche.
Wir sind umgezogen. Ich habe aufgehört, die vielen Kisten zu zählen, die wir geschleppt haben. Oder die Regalbretter. Die Teller, Tassen, Messer. Schuhe. Bücher. Ich liebe Bücher, ja wirklich. Aber meine Güte, sind die schwer! Wo kommt nur all dieses Zeug her? Habe ich dieses schreckliche pinkfarbene Kleid tatsächlich irgendwann mal gekauft? Wieviele Sofakissen braucht man eigentlich? Wollen wir das wirklich behalten? Nein, stopp! Leg diesen Karton sofort wieder hin! Wehe du faltest eine weitere Umzugskiste zusammen! Ach so ja, die Wolle. Doch doch, die wollte ich schon mitnehmen. Ja, die Kiste kann ich nehmen, die ist ja zum Glück nicht so schwer…
Wir sind umgezogen. Mühsam arbeite ich mich durch eine Liste von Banken und Versicherungen, um ihnen die neue Adresse mitzuteilen. Die Unterschiede in den Verfahrensweisen sind erstaunlich. Bei einem Institut ist alles in zwei Minuten erledigt, beim nächsten quäle ich mich durch eine verwirrende Webseite, ein Telefongespräch und schließlich noch einen Brief. So langsam verliere ich den Überblick. Habe ich auch wirklich niemanden vergessen? Schließlich lege ich die Liste beiseite und tröste mich mit dem Gedanken, dass es ja auch noch Nachsendeaufträge gibt.
Wir sind umgezogen. Freunde und Familie fragen an, wann sie vorbei kommen und die neuen vier Wände anschauen können. Gern würde ich alle einladen, aber es gibt noch so viel zu tun! Im Schlafzimmer hängen die Bilder nicht an der Wand. Über dem Waschbecken im Bad baumelt eine nackige Glühbirne. Wenn ich richtig gezählt habe, stehen im Arbeitszimmer noch zehn unausgepackte Kisten. Der Esstisch wird erst in vier Wochen geliefert. Und in der Küche… und auf dem Balkon… und und und… Ich verstehe eure Neugierde ja, aber bitte geduldet euch noch einen Moment!
Wir sind umgezogen. Sobald ich mit diesem Absatz fertig bin, klappe ich meinen Laptop zu, nehme meine Tasse mit Malzkaffee vom Arbeitsplatz und schlendere zufrieden durch mein neues Zuhause.